Wie sehen Messe- und Kongressformate der Zukunft aus? Welche Rolle spielen dabei digitale und hybride Elemente und wie kann es gelingen, den Kundennutzen künftig wieder mehr in den Fokus von Messen und anderen wirtschaftsbezogenen Veranstaltungen zu rücken. Diese und weitere spannende Fragen diskutieren Vanessa Christin Pöhlmann und Sjoerd Weikamp mit ihren Gästen in der aktuellen Folge von Around the World – An International Talkshow on the Road2BOE.
Foto: Dr. Kai Kottenstede, stellvertretender Pressesprecher der Messe Berlin
Das Thema der aktuellen NEXTLIVE.TV – Episode lautet: Messen im Wandel. Dazu begrüßen Vanessa Christin Pöhlmann und Sjoerd Weikamp Marvin Boettcher, Projektleiter der Messe Dortmund, Michael Degen, Prokurist und Bereichsleiter Inlandsmessen bei der Messe Düsseldorf, Maurits van der Sluis, COO und Vorstand bei der Messe RAI Amsterdam, Martin Michel, Geschäftsführer beim RheinMain CongressCenter Wiesbaden und Dr. Kai Kottenstede, stellvertretender Pressesprecher der Messe Berlin.
Die pandemischen Situation habe wie eine aufgezwungene Transformation auf die Messe- und Eventlandschaft in unserem Land gewirkt, sagte der Wirtschaftsessayist, Buchautor und Mitbegründer von brand eins, Wolf Lotter, beim Gipfeltreffen der Veranstaltungswirtschaft vor gut einem Jahr in Wiesbaden - NEXTLIVE berichtete als Medienartner der Veranstaltung. Er kritisierte dabei, dass der sechstgrößte Wirtschaftszweig über viele Jahre hinweg zu sehr nach innen gerichtet agierte – die Zielgruppe der Veranstaltungswirtschaft aber nicht in der Branche selbst, sondern viel mehr auf Auftraggeberseite zu finden sei. Künftig ginge es laut Lotter vor allem darum, den Kundennutzen wieder viel mehr in den Fokus der Messe- und Eventlandschaft zu rücken
Die BOE ist die internationale Leitmesse der Veranstaltungswirtschaft und bildet jährlich den Jahresauftakt der Eventbranche. Pandemiebedingt findet die BOE in diesem Jahr als zweitägiger Kongress unter dem Titel BOE connect LIVE am 04. und 05. Mai 2022 in der Messe Dortmund statt. Marvin Boettcher, Projektleiter der Messe Dortmund, sagt im Interview mit NEXTLIVE.TV: „Messegesellschaften beschäftigen sich schon länger damit, ihre USPs über die klassische Vermarktung von Flächen hinaus in zusätzlichen Leistungen abzubilden. Dabei geht es im Wesentlichen darum, Menschen zusammenzuführen und miteinander zu vernetzen. Das Ganze hat in der pandemischen Situation allerdings noch einmal eine andere Dringlichkeit gewonnen“, so der Projektleiter der BOE International. Mit Formaten wie der BOE connect und der Kooperation mit NEXTLIVE wolle man die Zielgruppen der BOE künftig auch verstärkt unterjährig ansprechen und so Mehrwerte für Aussteller und Besucher der BOE schaffen.
Foto: Marvin Boettcher (Messe Dortmund) im NEXTLIVE.TV-Interview mit Vanessa Pöhlmann.
Die Messe Düsseldorf gehörte 2019 mit einem Jahresumsatz von rund 369 Mio. Euro zu den erfolgreichsten Messegesellschaften in Deutschland. Den Ausblick in die (nahe) Zukunft sieht Michael Degen, Bereichsleiter Inlandsmessen bei der Messe Düsseldorf, dennoch eher bescheiden: „Wenn Messen überhaupt wieder stattfinden können, ist das in der pandemischen Situation schon als Erfolg zu werten. Wenn dies dann mit entsprechenden wirtschaftlichen Ergebnissen verknüpft werden kann, ist das umso schöner.“ An die Zahlen aus 2019 werde man in den nächsten 12-18 Monaten allerdings noch nicht wieder anknüpfen können: „Wenn wir uns als Branche 2025/2026 auf dem Niveau von 2019 wiederfinden, können wir alle sehr zufrieden sein“, so der Prokurist der Messe Düsseldorf.
Foto: Michael Degen, Bereichsleiter Inlandsmessen und Prokurist bei der Messe Düsseldorf.
Mit dem Caravan Salon konnte die Messe Düsseldorf im vergangenen Jahr den ersten großen Erfolg seit Beginn der Coronakrise für sich verbuchen. Trotz der pandemischen Situation konnte sich die Bilanz sehen lassen: 653 Aussteller aus 31 Ländern bespielten an 10 Messetagen 13 Messehallen und zogen insgesamt über 185.00 Besucherinnen und Besucher auf das Gelände der Messe Düsseldorf. Da lässt zuversichtlich in die Zukunft schauen. Das größte Problem in der pandemischen Situation sieht Michael Degen jedoch in der Planungssicherheit für Eventorganisatoren, da große Veranstaltungen wie der Caravan Salon eine entsprechende Vorlaufzeit benötigen: „Um künftig erfolgreich arbeiten zu können, müssen Veranstaltungsplaner wieder über einen größeren Zeitraum hinweg verlässlich planen können“, so der Prokurist der Messe Düsseldorf.
Martin Michel – Geschäftsführer des RMCC Wiesbaden – sieht die gesamte Veranstaltungswirtschaft in einer Umbruchsituation. Und diesen Umstand habe er als Herausforderung begriffen und sich dabei verstärkt mit der Zukunft der Veranstaltungswirtschaft auseinander gesetzt. Die zentrale Frage dabei lautete: „Haben Präsenzveranstaltungen überhaupt noch eine Zukunft? Wir sind dann sehr schnell zu dem Ergebnis gekommen, dass Präsenzveranstaltungen ganz sicher zukunftsfähig sind, allerdings werden sich die Formate künftig verändern.“ 2021 organisierte der Chef der Wiesbaden Congress & Marketing unter dem Titel ‚Pfade in die Zukunft‘ eine zweitägige Hybrid-Veranstaltung, bei der führende Köpfe der Kultur- und Veranstaltungswirtschaft die Zukunft von wirtschaftsbezogenen Events diskutierten.
Foto: Martin Michel, Geschäftsführer Wiesbaden Congress & Marketing, im Foyer des RMCC.
Martin Michel - Wiesbaden Congress & Marketing: „Wir verstehen uns im RMCC und den anderen Eventlocations in Wiesbaden als People Pilots – wir bringen Menschen und Themen zusammen.“
Auf die Frage, ob man auch im Kongressgeschäft wieder eine verstärkte Nachfrage nach Präsenzveranstaltungen spüre, sagte Martin Michel: „Ja, wir konnten im vergangenen Jahr wieder eine Reihe von Veranstaltungen unter 2G- und 3G-Regelungen durchführen und die durchschnittliche Auslastung von über 75% zeigt auf, dass die persönliche Begegnung in Form von Kongressen und anderen wirtschaftsbezogenen- sowie kulturellen Veranstaltungen absolut zukunftsfähig ist.“ Der klassische Moment der Frontalveranstaltung habe jedoch keine Zukunft, führte der studierte Betriebswirt im Gespräch mit Vanessa Christin Pöhlmann weiter aus. „Es gilt künftig Veranstaltungsformate anders zu strukturieren. Und da bin ich sehr froh, dass wir in Wiesbaden keine Quadratmeter verkaufen, sondern den Kongress ganzheitlich betrachten. Dabei müssen wir als Veranstaltungshäuser eine andere Rolle einnehmen und unsere Kunden bei der Entwicklung einer Dramaturgie für ihre Veranstaltungen begleiten, genau das erwarten Veranstaltungsplaner von uns.“
Maurits van der Sluis ist COO und Vorstand bei der Messe RAI Amsterdam. Für das Interview mit NEXTLIVE.TV zur Road2BOE wurde er live aus Paris hinzugeschaltet, wo er an der 71. ICA Konferenz teilnahm. Auf die Frage, wie sich das Messe- und Eventgeschäft in den Niederlanden aktuell darstellt, sagte er: „Nachdem 18 Monate so gut wie gar nichts möglich war, lief das Geschäft im August und September 2021 besser an als gedacht. Die erste Veranstaltung haben wir am 20. September 2021 durchgeführt. Seither haben wir in der Messe RAI Amsterdam acht große, internationale Messen und Kongresse umgesetzt“, so der Niederländer. Dabei räumt Van der Sluis ein, dass der Restart sich schon sehr problematisch gestaltete. Man habe sich von 35% der Belegschaft trennen müssen, das sei ein harter Schnitt gewesen. Auch die Verfügbarkeit von Event-Suppliern sei ein Problem gewesen, da viele Eventdienstleister aufgrund von Kurzarbeit und Mitarbeiter-Abwanderung in andere Branchen hart getroffen wurden.
„Digitale Komponenten erweitern Präsenzveranstaltungen“
Die Zukunftsvision der Messe RAI Amsterdam schilderte Maurice van der Sluis so: „Zunächst mal galt es für uns, die Krisensituation zu managen, das war kein leichtes Unterfangen. Dazu musste eine große Reorganisationsmaßnahme durchgeführt- und harte Kosteneinsparungen vorgenommen werden. Glücklicherweise hat der niederländische Staat die Veranstaltungswirtschaft sehr gut unterstützt. Dafür sind wir sehr dankbar, denn ohne diese Hilfe wäre die Reorganisation in der Form gar nicht möglich gewesen. Am Ende galt es dann unsere Geschäftsmodelle neu aufzustellen. Natürlich mussten wir sehen, dass wir während der pandemischen Situation Geld verdienen, das haben wir vor allem über digitale Eventformate abgebildet, wie vermutlich der Großteil der Veranstaltungshäuser in den Niederlanden und Deutschland. Dann aber galt es vor allem, die Post-Covid-Ära zu fokussieren, um unsere Geschäftsmodelle zukunftsfähig aufzustellen und die Messe RAI Amsterdam auch künftig wettbewerbsfähig am Markt zu positionieren“, erläutert der COO.
Foto: Live aus Paris zugeschlatet: Maurits van der Sluis, COO bei der Messe RAI Amsterdam.
„Live-Events werden in Zukunft noch effektiver“
Digitale Komponenten werden Live-Events künftig nicht verdrängen, führte er weiter aus, allerdings würden digitale Elemente Präsenzveranstaltungen ergänzen und damit verstärken. Dies werde dazu führen, dass Live-Events künftig noch effektiver und effizienter umgesetzt werden können. Als Beispiele nannte der Vorstand der Messe RAI Amsterdam digitale Elemente, wie 360° Experiences von Messeformaten oder digitale Matchmaking-Angebote, die es zwar auch schon in der Vergangenheit gab, aber die sich im Messegeschäft bislang noch nicht wirklich durchsetzen konnten. An hybride Formate glaubt Maurice van der Sluis nicht: „Die Zukunft wird digital und live sein, das heißt Events werden über digitale Formate oder als Präsenzveranstaltungen umgesetzt.“
Dr. Kai Kottenstede ist stellvertretender Pressesprecher der Messe Berlin. Auf die These von Wolf Lotter, dass das alte Messesystem tot sei, sagte der Politikwissenschaftler: „Nach fast zwei Jahren Pandemie haben wir gelernt, dass Live-Events ganz offensichtlich immer noch leben und das Bedürfnis der persönlichen Begegnung immer noch da ist, vielleicht sogar noch etwas stärker als vor der Pandemie. Diese Stimmung bekommen wir bei der Messe Berlin von Ausstellern wie Besuchern widergespiegelt.“ Auf die Frage, ob er sich eine digitale Plattform wie GROHE X (NEXTLIVE berichtete darüber) als ergänzendes Tool für Präsenzveranstaltungen auch für die Messe Berlin vorstellen könne, sagte der stellvertretende Pressesprecher:
ITB NOW ergänzt die ITB erfolgreich
„Wir arbeiten bereits erfolgreich mit solchen Tools. Mit der ITB NOW als digitale Erweiterung der ITB und der CMS PLUS als Ergänzung zur Fachmesse CMS haben wir zwei innovative, digitale Plattformen entwickelt. Dabei haben wir die jeweiligen Live-Events nicht ersetzt, sondern aufgebohrt und mit den digitalen Formaten ergänzt und erweitert. Dies bedeutet in beiden Fällen eine Aufwertung für Aussteller und Besucher.
Dr. Kai Kottenstede: „Messe ist nicht gleich Messe“
Die Zukunft des Marktplatz Messe sieht Dr. Kai Kottenstede zuversichtlich: „Obwohl die ITB NOW mit 3.500 Ausstellern und über 65.000 Besuchern ein großer Erfolg war, wird die ITB auch künftig wieder als große Präsenzveranstaltung stattfinden. Der Zuspruch der Branche zur digitalen Veranstaltung war sehr groß, dennoch haben alle Beteiligten ein Interesse daran, sich wieder live treffen zu können. Dass ein gewisses Maß an Hybridisierung auch nach Corona bleiben wird, steht außer Frage. Es gilt herauszufinden, wie viel Hybridisierung braucht der Markt, um Mehrwerte zu erzeugen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass Messe nicht gleich Messe ist. Messen stellen Angebote für jeweilige Branchen dar. Dabei spielen branchespezifische Innovationszyklen eine maßgebliche Rolle, denn ihnen passen sich in der Folge die Messezyklen an, digital und live.“
Around the World - An International Talkshow on the Road2BOE
Around the world - An International Talkshow on the Road2BOE' ist eine Co-Produktion von NEXTLIVE.TV und der Messe Dortmund, sie bildet den digitalen Auftakt zur #BOE Connect Live am 04. und 05. Mai 2022 in der Messe Dortmund. Die BOE International ist die führende Fachmesse für Erlebnismarketing.
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